Parentifizierung lösen


Fühlst Du Dich für Deine Eltern verantwortlich, obwohl sie nicht pflegebedürftig sind?

Machst Du Dich gern für andere nützlich?

Fällt es Dir schwer, in Fülle zu leben?


Viele Eltern der heute Erwachsenen sind traumatisiert. Noch durch Kriegsthemen, aber auch durch andere schwierige Themen sind in den allermeisten Familiensystemen Traumata vorhanden. Wenn Eltern für ein Kind während der Kindheit emotional nicht ausreichend zur Verfügung stehen, weil sie selbst traumatisiert sind, ist die Gefahr für ein Kind groß, dass es die Fürsorge-Rolle gegenüber Mutter oder Vater einnimmt. Das ist Parentifizierung, von Englisch: parents - Eltern. Als Folge früher Beziehungstraumata lernen die Betroffenen, sich mehr nach den Ansichten und Bedürfnissen Anderer  als nach den eigenen zu orientieren. Damit verbunden ist so ein Verbot, das eigene Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zu leben, bzw. solche Vorstellungen überhaupt erst einmal zu entwickeln. Da die Eltern-Kind-Beziehung eine Blaupause für alle weiteren Beziehungen im Leben ist, suchen sich Betroffene als Erwachsene immer wieder Beziehungen, in denen sie sich nützlich machen können, weil sie daraus vermeintlich ihren Wert ziehen. Zeitlebens fühlen sie sich verantwortlich gegenüber den Eltern, neigen zu Perfektionismus, Grübeleien, Wutanfällen, Traurigkeit etc.

Wenn Eltern ein unverarbeitetes Trauma in ihrem eigenen inneren Raum haben, dann sind sie nicht optimal mit ihrem wahren Selbst verbunden. Das wahre Selbst ist unser Wesenskern, unsere Essenz. Es ist der nicht traumatisierte Anteil, der seinem Kind eine reine, absichtslose Liebe schenken kann. Wenn Eltern traumatisiert sind, sind sie wenig mit ihrem wahren Selbst verbunden und können ihrem Kind diese reine, bedingungslose Liebe nicht vermitteln. 

Wenn ein Kind nicht die Erfahrung machen kann, bedingungslos geliebt zu werden, dann kann es kein Bewusstsein für ein eigenes „wahres Selbst“ entwickeln. Um zu überleben, muss das Kind eigene Überlebensstrategien entwickeln und einen Überlebensmodus, ein "falsches Selbst" konstruieren, das an die belastende Realität angepasst ist – auch wenn es sich dadurch verbiegt. Es begibt sich in den Raum der Eltern: Mit „1000 Antennen“ spürt es die Verletzungen der Eltern, die diese daran hindern, mit ihrem eigenen wahren Selbst verbunden zu sein. Es entwickelt die Illusion, für das Schicksal und das Leid der Eltern verantwortlich zu sein, um sich dadurch wertvoll fühlen zu können. Das Kind orientiert sich nach deren Erwartungen und Bedürfnissen. Es ist bereit, sich benutzen zu lassen, um für die Eltern wichtig zu sein. Angesichts der realen Verlassenheit und Überforderung hat es so wenigstens überlebt, durch die illusionäre Selbst-Überschätzung, wertvoll zu sein und gebraucht zu werden. 

Parentifizierung ist ein schwere Bürde für die Betroffenen. Zunächst einmal müssen sie erkennen, dass sie die Elternrolle gegenüber ihren Eltern ein Stück weit eingenommen haben. Dann müssen sie verstehen, dass Eltern-Kind-Beziehungen anders funktionieren sollten, als sie das in der Kindheit erlebt und gelernt haben, nämlich dass die emotionale Fürsorge von den Eltern kommt und an die Kinder gegeben wird. Wenn sie das Thema verstandesmäßig begriffen haben, können aber bei einer Abgrenzung gegenüber den Eltern massive Schuldgefühle auftreten, denn das Verantwortungsgefühl wurde verinnerlicht. Das ist eine große Belastung für die Betroffenen.



Der Fluss des Lebens 


Nun ist es aber so, dass jeder Mensch mit einer eigenen Aufgabe auf die Welt kommt und dass die Energie dafür unter anderem aus dem Ahnensystem zur Verfügung gestellt wird. Mit dem Leben, das von Generation zu Generation weitergegeben wird und von den Eltern zu den Kindern fließt, soll auch die Kraft von den Eltern zu den Kindern gegeben werden und nicht umgekehrt. 

Wie die Beziehungen im Familiensystem eigentlich gedacht sind und in welche Richtung die Energie fließen sollte, zeigt eine wunderbare Übung von Bert Hellinger, dem Begründer des Familienstellens:

"Wir machen die Augen zu und sammeln uns in unserer Mitte. Wir sehen uns als Kind vor unserer Mutter und vor unserem Vater. Wir schauen sie an mit all der Andacht, mit der kleine Kinder auf ihre Eltern schauen – mit großen Augen und unendlich tiefer Liebe. Die größte Hingabe, die wir je erlebt haben, war dieser Blick auf unsere Mutter und auf unseren Vater. Vielleicht ist später etwas dazwischen gekommen, aber jetzt gehen wir zurück auf diese ursprüngliche Liebe.

Wir schauen auf die Eltern und sehen hinter ihnen ihre Eltern – und dahinter deren Eltern – und deren Eltern – und deren Eltern – unendlich viele Generationen. Durch all diese Generationen fließt das Leben bis zu unseren Eltern und durch sie zu uns. Es ist für alle das gleiche Leben. Alle, die es empfangen und weitergegeben haben, haben es richtig gemacht. Keiner konnte etwas wegnehmen. Das Leben fließt durch alle diese Generationen in seiner Fülle. Für unser Leben macht es keinen Unterschied, wie die einzelnen waren, ob sie gut waren oder schlecht, angesehen oder verachtet. Im Dienst des Lebens waren sie alle gleich gut. So hat das Leben auch meine Mutter und meinen Vater erreicht und durch meine Mutter und meinen Vater kam es zu mir.

Jetzt öffnen wir unser Herz und unsere Seele für die Fülle des Lebens, wie sie uns durch unsere Mutter und unseren Vater erreicht hat. Und wir sagen ihnen: „Danke. Ich nehme es von Euch. Zum vollen Preis, den es Euch gekostet hat und den es mich kostet. Ich halte es fest und in Ehren, und ich gebe es weiter in seiner Fülle, in welchen Umständen auch ich es weitergeben kann und darf.“

Dann lehnen wir uns an unsere Eltern an. Wir schauen nach vorn und geben es weiter, wie immer: an eigene Kinder, an eigene Enkel, an die vielen Generationen, die nach uns kommen. Oder, wenn wir keine Kinder haben, geben wir es in anderer Weise weiter im Dienste des Lebens. Das Leben fließt durch uns hindurch. Gerade, indem es hindurchfließt, sind wir am tiefsten mit ihm verbunden. Denn das Leben, wie die Liebe, fließt."


(aus Bert Hellinger, Liebesgeschichten zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, uns und der Welt, Kösel 2006, S. 56)



Wie Familiensysteme gedacht sind

... und was man tun kann, um in seine Kraft zu kommen, wenn man nicht das ideale Familiensystem vorgefunden hat, erzählen uns alte Märchen. Denn das Thema, dass nicht alle Menschen ideale Bedingungen für das Aufwachsen vorfinden, hatten auch schon unsere Vorfahren vor 1000 und mehr Jahren!

Zwei Paradebeispiele von Parentifizierung geben uns die Märchen "Schneewittchen" in der Urfassung aus dem Jahr 1812 sowie "Das Mädchen ohne Hände" von den Brüdern Grimm. Beim "Schneewittchen" war es in der Urfassung tatsächlich die eigene Mutter, die dem Mädchen nach dem Leben getrachtet hat (siehe auch meinen Blog über Mütterlichkeit). Beim "Mädchen ohne Hände" hackt der eigene Vater seiner Tochter die Hände ab.

Die frohe Botschaft beider Märchen ist, dass sowohl das Schneewittchen als auch das Mädchen ohne Hände in ihre Kraft kommen und glücklich werden - auch wenn es bis dahin durchaus zwei lange Wege sind.

Beide Märchen sind Bestandteil meines Buchs "Die Kristallkugel - Die Symbolik alter Märchen entschlüsselt für die neue Zeit", das im März 2024 beim Tredition-Verlag erschienen ist.


Mit Systemischer Selbst-Integration den Fluss des Lebens wieder herstellen

Die Methode der Systemischen Selbst-Integration ist eine noch recht neue Methode, unter anderem zur Klärung von Beziehungen. 

Man spürt sich selbst ein alle Positionen, die mit Bauklötzen dargestellt werden, ein und kann sich dann davon lösen. In vielen Therapieformen gibt es lediglich Handlungsanweisungen, wie man mit schwierigen Beziehungen umgehen soll. Systemische Selbst-Integration löst direkt das darunter liegende Verhaltensmuster.

Mit der Methode der Systemischen Selbsintegration nach Dr. Langlotz kann man mit Bauklötzen u.a. die Beziehung zur Mutter anschauen. Mit Bauklötzen aufgestellt werden die eigene Person, das eigene innere Kind sowie das eigene wahre Selbst, außerdem die Mutter und deren wahres Selbst. Das wahre Selbst der Mutter ist der Wesenskern, die Essenz der Mutter. Es steht für eine nicht traumatisierte Mutter, die ihrem Kind eine reine, absichtslose Mutterliebe schenken kann. War die Mutter emotional wenig erreichbar, hartherzig, sehr vereinnahmend etc., so war sie selbst traumatisiert, denn eine nicht traumatisierte Mutter würde nicht so mit ihrem Kind umgehen. Das Trauma der Mutter wird durch einen Würfel symbolisiert. Außerdem wird das Hartherzige, Vereinnahmende usw. durch eine Figur symbolisiert, die diesen Überlebensmodus darstellt, das sogenannte Überlebensselbst. Diesen Überlebensmodus hat sich die Mutter zugelegt, als sie in ihrer Kindheit selbst Situationen der Überforderung, Ablehnung, Abwertung etc. ausgesetzt war.

Sodann werden die eigenen Rollen im fremden Raum werden getestet und man steigt bewusst daraus aus: Aus der Elternrolle, die man gegenüber der Mutter übernommen haben könnte, aus der Partnerrolle, aus der Rolle, das Leben der Mutter im Griff haben zu müssen, aus der Rolle, das Trauma der Mutter von ihr abhalten zu müssen, damit sie nicht noch schwächer wird etc. Getestet werden auch die Rollen der Mutter im eigenen Raum, d.h. wenn die Mutter das Leben des Kindes kontrollieren oder sich dort einrichten will. Dann wird die Mutter  mit allem Respekt aus dem eigenen Raum verwiesen.

Im Laufe der Aufstellung werden auch das Überlebensselbst und das Trauma der Mutter aus dem eigenen inneren Raum entfernt. Sodann hält man das wahre Selbst der Mutter an sein Herz und spürt, wie die reine, bedingungslose Mutterliebe jetzt fließen kann. In der Aufstellung wird die Verbindung zur Mutter über das Leid gekappt und die Verbindung über die Liebe hergestellt. Ich erlebe die Methode als sehr wirksam bei meinen Klient*innen. In zwei Videos des Entwicklers der Systemischen Selbst-Integration und meines Ausbilders, Dr. Ero Langlotz kann man sich mit der Methode vertraut machen. Im ersten Video stellt ein Mann seine Beziehung zur Mutter auf (Manuel, Beziehung zur Mutter). Im zweiten Video geht es um eine Frau und ihre Mutter (Antje, Wut auf die Mutter).

Durch die Aufstellungen werden die Synapsen im Gehirn neu geknüpft, so dass man sich gegenüber den Eltern und auch in anderen Beziehungen besser abgrenzen kann – ohne Schuldgefühle! Und man kann ohne schlechtes Gewissen sein eigenes Leben leben!

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Der SelbstVerbindungs-Blog 

von Dr. Grit Ludwig


Authentisch sein, auf die innere Stimme hören, das wird immer wichtiger in unserer Zeit! Oft ist unsere innere Stimme nicht ganz klar zu vernehmen: Durch (größere und kleinere) eigene Traumata aus der Kindheit, durch übernommene Traumata oder allgemein durch Verstrickungen aus dem Familiensystem verlieren wir teilweise die Verbindung zu unserem wahren Selbst.

 In diesem Blog findest Du Beiträge dazu, wie Du Dich besser mit Deinem Wesenskern verbinden kannst. Dadurch wird es möglich, dass Du Dein Leben als Original lebst und Deinen eigenen Weg gehst!