Geburtstrauma verarbeiten

Eine Geburt ist oft traumatisch. Für das Baby ist die Geburt ein plötzliches, gewaltiges Ereignis, das oft mit Gefühlen wie Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit verbunden ist. Von der Natur ist vorgesehen, dass ein Geburtstrauma im Anschluss an die Geburt verarbeitet wird.


Ein Trauma wird dadurch verarbeitet, indem man im Nachgang an die traumatische Situation die negativen Gefühle spürt. Das Gehirn lässt das Geschehen immer wieder in Zeitlupe ablaufen, der Körper ruft dabei die einzelnen Gefühle ab. Ist man in einem sicheren Raum, dann werden auf diese Weise innerhalb von einigen Tagen bis Wochen die im Körper abgelagerten Gefühle hervorgeholt, angeschaut und ausgeschleust.

Leider hatten viele der heute Erwachsenen nach ihrer Geburt keinen sicheren Raum in diesem Sinne, um ihr Geburtstrauma zu verarbeiten. Von der Natur ist vorgesehen, dass das Baby sofort von nach dem Herausschlüpfen aus dem Geburtskanal von der Mutter mit offenen Armen empfangen wird. Die Mutter legt das Kind auf ihre Brust und schenkt ihm alle ihre Mutterliebe, die sie zur Verfügung hat. Sie vermittelt dem Kind, dass es richtig ist, da wo es "gelandet" ist und heißt es willkommen. Danach besteht ständiger Körperkontakt zwischen dem Neugeborenen und einer Bezugsperson. Dann fühlt das Baby sich sicher. 

Leider ist es so, dass in unserer Kultur die Babys der Mutter weggenommen worden sind, mit der Begründung, die Mutter müsse sich ausruhen. Nur zum Stillen wurde das Baby der Mutter gebracht. Für das Baby, das so programmiert ist, dass Alleingelassen werden den Tod bedeutet - denn so war es in der Steinzeit - ist diese Situation mit Todesangst verbunden. Auch, wenn der Raum für Erwachsene sicher aussieht - für das Neugeborene ist er keineswegs sicher. Und so kann das Baby das Geburtstrauma nicht verarbeiten. Das Trauma ist unverarbeitet im Gehirn gespeichert und kann jederzeit getriggert werden.

Wie Geburt und frühe Kindheit eigentlich gedacht sind, nämlich als Kontinuum an Geborgenheit, zunächst als Fortsetzung der Zeit in der Gebärmutter und als langsames Herantasten an die Umwelt, beschreibt Jean Liedloff in ihrem Buch: "Auf der Suche nach dem verlorenen Glück: Gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit" aus dem Jahr 1975. Ähnliches habe ich in Afrika erlebt, wo ich in den 2000er Jahren als Beraterin zivilgesellschaftlicher Organisationen für zwei Jahre gearbeitet habe. Und: Kein Säugetier würde sein Neugeborenes nach der Geburt allein lassen!

Seelische Muster werden zutiefst geprägt durch die Zeit, in der wir im Uterus unserer Mutter zu Gast waren und durch unsere Geburt. Diese Muster beeinflussen unser Leben in erheblichem Maß, z.B. hinsichtlich Entscheidungsfindung, Beziehungen, Selbstbewusstsein, Elternschaft. Die Geburt ist das erste große Sich-Auf-Den-Weg machen. Das Ziel können wir vielleicht erahnen, aber wir kennen es nicht. Das Baby lässt die vertraute Umgebung des Mutterleibs für immer hinter sich und kommt – so ist es von der Natur vorgesehen – in den Armen der Mutter an, die es liebevoll an ihr Herz drückt. Denn dort kann es sich von den Strapazen der Geburt ausruhen und die Geburtserfahrungen verarbeiten.


Gelingt die Geburt ohne größere Einschnitte, so hat der neu geborene Mensch eine positive Erfahrung gemacht. Diese gibt ihm die Abenteuerlust, die Neugier, den Mut und das Selbstbewusstsein, auch weitere Transformationsprozesse im Leben anzugehen, denn das Leben ist nun mal stete Veränderung. Unsere Geburt ist als Blaupause für Transformationsprozesse in unserem Körper abgespeichert, wie ein Modell auf das wir in späteren Phasen des Umbruchs und der Selbstwerdung zurückgreifen können. 

Doch leider läuft der Prozess der Geburt und die anschließende Bindungsphase zwischen Mutter und Kind nicht immer ungehindert ab: Komplikationen, vital bedrohliche Zustände bei Mutter und/oder Kind; zu früh oder zu spät eingeleitete Geburten; Kaiserschnittgeburten; Trennung und Isolation nach der Geburt; schwierige oder feindliche Umgebungen für die Mutter und/oder Kind, etc. – all diese Ereignisse können seelische Wunden hinterlassen, die dann dazu beitragen, dass der Prozess der Geburt im Körper nicht wie die erfolgreiche Bewältigung einer schwierigen Aufgabe abgespeichert wird, sondern als eine vage Erinnerung an Überforderung, Bedrohung, Auswegslosigkeit, Abhängigkeit und Hilflosigkeit. Hat man solche Erinnerungen im Körper gespeichert, dann werden Phasen des Umbruchs, wie eine Neuorientierung im beruflichen Bereich, das Ende einer langjährigen Partnerschaft, die Ablösung von erwachsen werdenden Kindern vom Elternhaus etc. von starken unterbewussten Ängsten und Zweifeln begleitet. Diese werden oft als irrational erlebt, da sie der eigenen Biographie nicht klar zugeordnet werden können (Philipp Kutzelmann in: Dr. med. Ero Langlotz, Newsletter vom 12.1.2021, https://www.e-r-langlotz.de/newsletter-januar-2021-ii/).


Die Systemische Selbstintegration nach Dr. Langlotz(R) bietet einen Rahmen, um das Geburtstrauma zu verarbeiten. Da die traumatische Erfahrung nicht bewusst erinnert werden kann, wird mit dem blockierenden Element gearbeitet. Hinweise auf ein Geburtstrauma können Bilder von weißen Kitteln, grellem Licht, schreienden Babys oder etwa Gefühle von Abgeschnittensein, Verlassenheit, Angst und Hilflosigkeit sein. Werden diese bei der Frage, wie alt jemand in der betreffenden Situation war, der Geburt zu geordnet, ist das Geburtstrauma als Ursache für Schwierigkeiten in Umbruchssituationen identifiziert. In der Systemaufstellung wird das Geburtstrauma durch einen Würfel symbolisiert. Nach dem bewussten Fühlen und Loslassen der schwierigen Gefühle, die mit dem Trauma verbunden waren, wird das Geburtstrauma, repräsentiert durch den Würfel, aus dem eigenen Raum entfernt. Damit wird klar, dass die Gefühle der Vergangenheit angehören und nicht mehr zu unserer jetzigen Identität gehören.


Das Geburtstrauma wird in der ca. zwei Stunden dauernden Systemaufstellung aus dem eigenen Raum entfernt. Dann steht es neuen Wegen in Umbruchssituationen nicht mehr entgegen. Das Geburtstrauma stand meist auch der Begegnung mit dem wahren Selbst der Mutter im Weg – auch diese Begegnung wird nachgeholt. Mütterliche Liebe darf fließen und im Rahmen der Aufstellung gespürt werden. Die in der Aufstellung gemachten Erfahrungen können dann im Leben abgerufen werden.

Fallbeschreibung: Geburtstrauma blockiert Beziehung zur Tochter

Angelika hat eine 16jährige Tochter, Susan, die sich seit den letzten 12 Monaten extrem von ihrer Mutter abgrenzt. Das ist ihre Aufgabe beim Erwachsenwerden und Angelika freut sich im Grunde darüber, dass Susan in ihre eigene Kraft kommt. Dennoch stellt es für die Mutter eine Herausforderung dar, da sie bis dahin eine sehr enge Beziehung zu Susan hatte. Angelika sieht auch, dass Susan die Abgenzung viel Kraft kostet und sie möchte sie nicht in der Erlangung ihrer Eigenständigkeit behindern. Mit dem Anliegen, die Beziehung zu ihrer Tochter zu klären, macht Angelika eine Systemaufstellung nach der Methode der Systemischen Selbst-Integration nach Dr. med. Ero Langlotz(R).

Im Laufe der Aufstellung ergibt sich, dass die Beziehung von Angelika und Susan durch das Geburtstrauma von Angelika während ihrer eigenen Geburt blockiert ist. Dieses Trauma wurde bei der Geburt von Susan wiederum getriggert. 

Angelika war bei ihrer Geburt zwei Wochen über der Zeit gewesen.Während der Geburt wurde der Mutter Druck gemacht, denn die Hebamme wollte nach Hause, weil sie Feierabend hatte. Angelika hatte immer das Gefühl, dass sie noch nicht geboren werden wollte. Die Wehen der Mutter waren nicht ausreichend, der Vater hat sie „rausgeschoben“. 

In der Aufstellung wird nun das Geburtstrauma angeschaut und es ergibt sich noch, dass dieses Geburtstrauma mit einem Trauma der Mutter verbunden ist, die Angelikas älteren Bruder aus gesundheitlichen Gründen abtreiben musste.

In der Aufstellung werden beide Traumata aus Angelikas Raum entfernt. Der Bruder, für den Angelika bisher teilweise stellvertretend gelebt hat, wird verabschiedet. Dies schafft Raum dafür, dass Angelika ihr eigenes Leben leben kann. Außerdem steht ihr die Energie, die bisher in den Traumata gebunden war, für ihre Selbstverwirklichung zur Verfügung. 

Fallbeschreibung abgewandelt und gekürzt aufgrund des Videos meines Ausbilders Dr. med. Ero Langlotz, der die Methode der Systemischen Selbst-Integration entwickelt hat: https://www.youtube.com/watch?v=oua2_-C8EDw

Zwei Fälle aus meiner Praxis

Fall 1: Frau L. kommt mit dem Anliegen zu einer Systemaufstellung, dass sie einen Glaubenssatz in sich trägt, sie „schaffe es nicht allein“. Frau L. hat sich gerade selbständig gemacht und ist nun in einer Phase angekommen, wo sie Ängste vor der Zukunft überfallen. 

Auf dem blockierenden Element spürt Frau L. zunächst, dass sie hin und her geworfen wird. Dann wird es plötzlich hell. Ich denke an eine Geburt und wir stellen die Mutter und das Krankenhaus dazu. Das fühlt sich stimmig an. Frau L. berichtet, dass ihre Mutter einen Wehentropf bekommen hatte, da die Wehen nicht ausreichten. Dies passt zu dem Glaubenssatz, denn die Geburt ist das erste Ereignis in unserem Leben, bei dem wir von der Abhängigkeit in die Selbständigkeit übergehen, bei dem wir es selbst in die Freiheit schaffen müssen. Wenn man das bewältigt hat, geht man ähnliche Schritte mit Selbstvertrauen an. Das Geburtstrauma wird aus dem Raum von Frau L. entfernt, so dass es nicht mehr getriggert werden kann.


Fall 2: 
Den umgekehrten Glaubenssatz hat Antje (Name geändert), nämlich "sie müsse alles alleine schaffen". Wir arbeiten mit dem blockierenden Element. Dort zieht es bei Antje erstmal die Kehle zusammen, sie hat das Gefühl, dass sie nicht gehört wird. Später fühlt Antje Druck auf den Ohren, es fühlt sich an wie unter Wasser. Das lässt mich an eine Geburtssituation denken. Antje berichtet, dass ihre Mutter nach ihrer Geburt Fieber hatte und sie deshalb nicht zur Mutter durfte. Die Mutter selbst ist mit Kaiserschnitt geboren worden. Sie erzählt auch, dass sie zeitlebens das Gefühl hatte, dass sie auf der Erde noch nicht richtig angekommen ist. In einer Aufstellung der Systemischen Selbst-Integration entfernen wir Antjes Geburtstrauma und das Geburtstrauma der Mutter aus Antjes Raum. Negative Gefühle wir Alleingelassen-Werden entlässt Antje aus ihrem Körper. Wir holen das Willkommen-Heißen nach: Antjes inneres Kind wird auf das wahre Selbst der Mutter gelegt und spürt dessen Liebe.

Hier die Rückmeldung von Antje: 
"Während meiner inneren Arbeit war ich auf einen Glaubenssatz gestoßen, den ich gerne auflösen wollte. Wer möchte schon gerne die Überzeugung herumschleppen immer alles alleine machen zu müssen? In einer Aufstellung mit Frau Dr. Ludwig gingen wir dem Thema auf die Spur. Überraschenderweise führte diese zu einem Geburtstrauma, das wir dann mit Hilfe der Systemischen Selbst-Integration bearbeiten konnten.
 
Ich finde es immer wieder erstaunlich, welche unbewussten Blockaden man mit der Methode aufzuspüren vermag und wie einfühlsam und gleichzeitig klar Frau Dr. Ludwig dabei vorgeht. 
Ich schätze sie sehr und empfinde die Zusammenarbeit als äußerst bereichernd."

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten:

Der SelbstVerbindungs-Blog 

von Dr. Grit Ludwig


Authentisch sein, auf die innere Stimme hören, das wird immer wichtiger in unserer Zeit! Oft ist unsere innere Stimme nicht ganz klar zu vernehmen: Durch (größere und kleinere) eigene Traumata aus der Kindheit, durch übernommene Traumata oder allgemein durch Verstrickungen aus dem Familiensystem verlieren wir teilweise die Verbindung zu unserem wahren Selbst.

 In diesem Blog findest Du Beiträge dazu, wie Du Dich besser mit Deinem Wesenskern verbinden kannst. Dadurch wird es möglich, dass Du Dein Leben als Original lebst und Deinen eigenen Weg gehst!