Kriegsschuld und Kriegstraumata – Sie dürfen auch mal vorbei sein!

„Der Zweite Weltkrieg tobt in deutschen Altenheimen.“ So eine Schlagzeile aus dem Jahr 2013. Auch knapp 77 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs sind Kriegsschuld und Kriegstraumata immer noch in den Menschen, die den Krieg und die Nachkriegszeit miterlebt haben, präsent. Aber auch in deren Nachkommen!

Kriegskinder sind im Krieg Geborene und Kind Gewesene; Nachkriegskinder sind am Ende des Krieges bis 1948 geboren und viele von ihnen haben unter Hunger und Kälte gelitten. In der Nachkriegszeit wurde nicht weiter auf die psychischen Befindlichkeiten der Kinder geachtet. Es hieß: „Nach vorn schauen!“, „Wir wollen, dass es wirtschaftlich aufwärts geht.“ „Wir wollen uns nicht mit dem Schweren von Damals befassen.“ So gelang es vielen, die Symptome der Kriegstraumatisierungen in der Zeit des Wiederaufbaus so weit zu verdrängen, dass ein halbwegs normales Leben möglich war. Doch irgendwann können die Erinnerungen nicht mehr ins Unbewusste abgeschoben werden. „Im Alter erinnern wir uns plötzlich wieder an Erlebnisse, die lange verschüttet waren. Zum anderen ist das Alter eine Lebensphase, in der viele Menschen vereinsamen, in der alles, was jahrzehntelang Halt gegeben hat, die Familie, der Beruf, langsam wegbricht. Damit bricht dann auch die mentale Abwehr zusammen.“ https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article120568707/Der-Zweite-Weltkrieg-tobt-in-deutschen-Altenheimen.html.

Die nun nicht mehr unter Verschluss zu haltenden Kriegserfahrungen äußern sich dann in Angstzuständen, Depressionen und psychosomatischen Beschwerden. Besonders häufig tauchen Krämpfe, Herzrasen und chronische Schmerzen auf. Außerdem leiden die Kriegskinder häufig unter einem Gefühl großer Leere. Manchmal haben sie den Eindruck, nicht das eigene Leben zu leben, irgendwie neben sich zu stehen. Andere haben Fremdheitsgefühle oder Beziehungsstörungen. Nicht alle Kriegskinder, vor allem wenn sie noch sehr jung waren, können sich an die traumatischen Erlebnisse erinnern. Und genauso wurde es den Kriegskindern nach dem Krieg von der älteren Generation auch gesagt: „Ihr habt es doch gut gehabt, Ihr habt ja nichts gemerkt, ihr wart ja nicht im Krieg.“ Und so sagen die Kriegskinder auch zu sich selbst: „Was stell ich mich so an, ich hab doch nichts Schlimmes erlebt.“ Das ist doppelt schlimm, denn der Körper vergisst nichts und die Kriegstraumata sind im Körpergedächtnis gespeichert. 


Es gibt auch Hinweise darauf, dass Kriegskinder nicht nur unter den Kriegsfolgen gelitten haben, sondern auch unter dem Schweigen in den Familien über angetanes Unrecht und selbst erlittenes Leid sowie unter der harten Erziehung. Gewalt gegen Kinder war nach dem Krieg weit verbreitet. Die Kriegskinder hatten umfassende Schweigegebote verinnerlicht. Die Kinder konnten das Schweigegebot nicht brechen, weil sie ernsthaft Gefahr liefen, die Eltern dadurch emotional zu verlieren. Das Wissen über die Täterschaft der Eltern im Nationalsozialismus durften die Kinder nicht preisgeben. In vielen Familien wurde über Krieg und Vertreibung gesprochen, aber nicht über Schuld. Die Kriegskinder fühlten sich daher oft stellvertretend für die Eltern schuldig.


Im Krieg hatten sich viele Erwachsene in Schweigen und Bagatellisierung geflüchtet, denn sowohl der 1. als auch der 2. Weltkrieg waren anfangs von einer Mehrheit begrüßt worden. Nach dem Krieg gab es ein langes Schweigen und den Blick nach vorn. So wird den Kriegskindern erst heute deutlich, wie schwierig ihre Kindheit war. Der Alterungsprozess ist schwieriger, wenn man keine unbelastete Kindheit hatte. Im Alter erinnert man sich ohnehin stärker an die Kindheit als an spätere Lebensjahre. Viele Kinder mussten emotional für Eltern und Großeltern sorgen und mussten daher zu schnell erwachsen werden. Kriegskinder sind komplex traumatisiert und sie hatten ihrerseits traumatisierte Eltern, die den Kindern nicht entsprechend zur Verfügung standen. Viele wuchsen ohne Vater oder mit einem gebrochenen Vater auf. 4,7 Mio. deutscher Soldaten starben im 2. Weltkrieg, 2,5 Mio. Kinder wurden zu Halbweisen und 500.000 Vollwaisen. Viele Mütter waren depressiv, um Haltung bemüht und gnadenlos. Nach der herrschenden Ideologie hatte man hart wie Kruppstahl zu sein. Wenn die Kinder dieser Härte begegneten, führte dies zu einem fehlenden Sicherheitsgefühl bei den Bezugspersonen. Dies hatte Rückzug und Dissoziation zur Folge. 


Aber nicht nur bei den Menschen, die den Krieg oder die Nachkriegszeit selbst noch erlebt haben, sei es auch als Kleinkinder, können Kriegstraumata getriggert werden. Unverarbeitete Traumata werden an die Kinder und Enkel weitergegeben. Sehr schwerwiegende Ereignisse, die die ganze Familie betrafen, wie das bei Kriegserlebnissen oft der Fall ist, bleiben zudem im „Sippengedächtnis“ erhalten. Sie sind dann auch für die Generation präsent, die die Beteiligten gar nicht mehr kennengelernt hat. Gerade in dieser Umbruchszeit, in der wir uns gerade befinden, die für Viele schwierig ist, kommen unerklärliche übertriebene Ängste, z.B. vor Autoritäten oder Kriegsbilder hoch. Die sogenannten Kriegsenkel sind die Kinder der Kriegskinder. Sie haben von ihren Eltern während der NS-, Kriegs- und frühen Nachkriegszeit erlittene und nicht verarbeitete psychische Traumata übernommen (transgenerationale Weitergabe von Traumata: Unerledigtes und Unverarbeitetes wird an die nächste Generation weitergegeben). Die Eltern waren für die Kinder emotional wenig erreichbar, so dass die Kinder die Traumata der Eltern in ihren eigenen Raum übernommen haben. Die Verbindung in den Familien erfolgt über das Leid, nicht über die reine, absichtslose Liebe. Kriegsenkel wurden häufig parentifiziert, d.h. sie versuchten den Eltern das zu geben, was diese vielleicht als Kind gebraucht haben, aber von den eigenen Eltern nicht bekommen konnten. Noch als Erwachsene fühlen sie sich für ihre Eltern verantwortlich, auch wenn diese noch keine Pflegefälle sind. Wenn sie sich um die eigene Selbstverwirklichung kümmern, bekommen sie Schuldgefühle den Eltern gegenüber.

Noch dazu übernahmen die Kriegsenkel Schuld- und Schamgefühle von Eltern und Großeltern, weil diese nicht dazu standen. So kommt es nicht selten vor, dass Kriegsenkel über die Traumatisierung der Eltern reden, als wäre es ihre eigene. Sie sind vollkommen mit den Eltern oder Großeltern identifiziert. Sie wissen nicht, wo sie eigentlich hingehören. Oft wird ihnen dies erst im mittleren Alter bewusst, wenn sie das Leben ihrer Eltern versuchen zu leben und ihnen dabei die Kraft ausgeht, weil es eben nicht ihr Leben ist. Weil über die Kriegserlebnisse noch immer wenig geredet wird, können die damit verbundenen Emotionen auch nicht geheilt werden. Erst durch das Teilen mit anderen werden Schmerzen aushaltbar. Die Nationalsozialisten lebten den Mythos der Unverwundbarkeit. Es war eine Ehre fürs Vaterland zu sterben. Dies ging aber damit einher, dass Trauer und Sinnlosigkeitserleben verdrängt wurden. Die Kinder wurden mit ihrer Trauer allein gelassen. Die Kriegsteilnehmer bekamen Aufmerksamkeit, deren Kinder aber nicht.

Fall: Carola - Kriegsschuld und Kriegstrauma des Opas 

Hier die Geschichte einer Frau, deren Aufstellung mit der Methode der Systemischen Selbstintegration auf dem Youtube-Kanal von Dr. Ero Langlotz veröffentlicht ist. Wie viele Aufstellungen in dieser Zeit betrifft sie Kriegserlebnisse eines Großelternteils. 

Kriegsschuld und Kriegstraumata sind immer noch präsent.

Carolas Opa war Soldat in Griechenland und hat dort Frauen missbraucht. Er war später psychisch krank und alkoholabhängig. Er war das schwarze Schaf der Familie. Carola hielt - aus "Trotz" gegenüber der Familie - zu ihm. Zugleich erlebte sie Ähnliches wie die Opfer ihres Opas. Wie die Aufstellung zeigt, war sie mit ihrem Opa und dessen Schuld identifiziert und zugleich mit seinen Opfern und deren Schicksal. So als wolle sie Opa´s Schuld sühnen, oder diesen gewalttätigen Konflikt in sich selber versöhnen. 

In der Aufstellung mit der Methode der Systemischen Selbstintegration kann Carola Opas Schuld ganz bei ihm lassen. Ihr inneres Kind war noch bei den griechischen Frauen und trug deren Trauma. Sie sagt zu ihm: „Du gehörst nicht in die Vergangenheit zu den griechischen Frauen, Du gehörst zu mir ins Hier und Jetzt! Du gehörst ins Leben.“ Carola verneigt sich vor den griechischen Frauen und ihrem Schicksal: „Es ist Euer Schicksal. Es steht mir nicht zu, da etwas zu rechtfertigen oder Euch zu sühnen.“ Dadurch kommt Carola vom Schicksal der Griechinnen frei, mit dem sie bisher identifiziert war. Im weiteren Verlauf der Aufstellung kann sich Carola immer mehr mit ihrem wahren Selbst verbinden und ihr inneres Kind wird zusehends lebendiger. 

Eine sehr berührende Aufstellung! Kriegsthemen beeinflussen uns auch heute noch immens, auch wenn uns das überhaupt nicht bewusst ist. In einer Systemaufstellung kann man Kriegsschuld und Kriegstraumata noch einmal anschauen und dann dürfen sie nach bald 80 Jahren auch mal vorbei sein.

Dazu, wie Frieden mit den Ahnen eintreten kann, die selbst Schuld auf sich geladen haben, habe ich auch einen Artikel im Miteinandersein-Magazin 4/2022 (S. 6) geschrieben.

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