Inannas Abstieg in die Unterwelt
Der Inanna-Mythos der Sumerer bildet eine Ausnahme inmitten der sonst hier versammelten deutschen/europäischen Märchen, ist aber einen Bestandteil der von Edith Helene Dörre veröffentlichten Märchen. Der Inanna-Mythos wurde ca. 2000 v. Chr. auf Tontafeln aufgeschrieben. Die Sumerer lebten zwischen Euphrat und Tigris. Das Gebiet gehört zum sog. fruchtbaren Halbmond, eine der Regionen der Erde, in denen die Landwirtschaft vor etwa 13.000 Jahren entstand.
Inanna ist der sumerische, Ishtar der akkadische Name der Göttin. Sie ist die älteste große Liebesgöttin, die wir kennen. Und viele der Liebesgöttinnen, in Griechenland, Rom, in Nordeuropa, gehen auf das Ur-Bild der sumerisch / babylonischen Inanna / Ishtar zurück. https://www.die-goetter.de/die-goettin-inanna-ishtar. Inanna ist auch die Stadtgöttin von Uruk, einer führenden Stadt im ausgehenden 4. Jahrtausend v. Chr. Inanna ist die Göttin des Himmels und der Erde. Inanna ist die Göttin des Himmels und der Erde. Sie besitzt die 14 ME, die Gesetzestafeln, die die heiligen Gesetze von Himmel und Erde von ganz Sumer zum Inhalt haben. Inanna / Ischtar ist eine sehr menschliche, sehr weibliche und dazu eine explizit verlockend attraktive Göttin. Sie hat eine eigene Stimme, einen eigenen Willen und wird durchaus als sehr eigensinnig beschrieben. https://www.die-goetter.de/die-goettin-inanna-ishtar.
Das bekannte Ischtar-Tor war eines der Stadttore von Babylon. Ein Nachbau des Ischtar-Tors ist seit 1930 im Pergamonmuseum in Berlin zu sehen.
Der Inanna-Mythos gliedert sich in drei große Teile: Inannas Initiation als Große Göttin vom Sumer, Inannas Heilige Hochzeit mit ihrem Heroskönig Dumuzi, Inannas Abstieg in die Unterwelt und die daraus resultierenden Folgen. Hier interessant ist „Inannas Abstieg in die Unterwelt“. In den auf dieser Homepage versammelten Märchen sind verschiedene Entwicklungsaufgaben angelegt. Inannas Abstieg in die Unterwelt zeigt eine Aufgabe, die in den europäischen Märchen so nicht beschrieben wird. Es gibt viele Versionen dieses Mythos. Ich orientiere mich an der Nacherzählung von Heide Göttner-Abendroth in ihrem Buch Inanna - Gilgamesch - Isis – Rhea, Die großen Göttinnenmythen Sumers, Ägyptens und Griechenlands, Ulrike-Helmer-Verlag 2004.
Inannas Abstieg in die Unterwelt
Inanna ist eine sehr mächtige Göttin. Sie beherrscht den Himmel und die Erde. Sie ist auch die Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit sowie die Stadtgöttin der großen Stadt Uruk.
Eines Tages beschloss Inanna, in die Unterwelt hinabzusteigen. Dazu legte sie alle sieben Insignien ihrer Macht an, darunter die schmalen Lapislazuli-Ketten, das königliche Gewand sowie den goldenen Armreif.
Ihre Gefährtin Ninschubur begleitete Inanna ein Stück des Wegs. Inanna bat Ninschubur, den Klagegesang anzustimmen, falls Inanna nicht zurückkehren sollte.
Als Inanna am äußeren Tor der Unterwelt ankam, klopfte sie an. Auf die Frage des Wächters, wer sie sei, sagte sie: „Ich bin Inanna, die Königin des Himmels und der Erde, auf meinem Weg in die Unterwelt.“ Der Wächter fragte, was sie auf dem Weg ohne Wiederkehr wolle. Inanna antwortete, dass ihre Schwester Ereschkigal sie sehen wolle.“ Ereschkigal ist eine ältere Schwester von Inanna und die Göttin des Todes. Sie wohnt in einem Palast aus Lapislazuli-Steinen. Der Palast ist von sieben dicken Mauern umgeben.
Der Wächter fragte bei Ereschkigal nach. Dazu ein Ausschnitt aus dem Originaltext in der Übersetzung von Marani Margarete Monheim:
- Neti, der oberste Torhüter der KUR,
Trat in den Palast von Ereshkigal, der Königin der Unterwelt und sprach:
“Meine Königin, ein junges Mädchen
So groß wie der Himmel,
So weit wie die Erde,
So stark wie die Fundamente der Stadtmauer,
Wartet draußen vor den Toren des Palastes.
Sie hat die sieben ME um sich versammelt.
Sie hat sie in ihre Hände genommen.
Mit den ME in ihrem Besitz, hat sie sich selber hergerichtet.
Auf ihrem Kopf trägt sie die SUGURRA, die Krone der Steppe.
Über ihrer Stirn sind ihre dunklen Locken mit Bedacht arrangiert.
Um ihren Hals trägt sie die schmalen Lapislazuli-Perlen.
Über ihren Brüsten trägt sie die doppelte Reihe der Perlen.
Ihr Körper ist in die königliche Robe gehüllt.
Ihre Augen sind bestrichen mit der Salbe, die heißt: ‚Lass ihn kommen,
Lass ihn kommen!‘
Um ihre Brust trägt sie das Brustschild, das heißt: ‚Komm, Mann, komm!‘
An ihrem Handgelenk trägt sie den goldenen Reif.
In ihrer Hand trägt sie den Lapislazuli-Messstab mit der Schnur.“ -
Ereschkigal dachte lange über das Ansinnen nach. Dann sagte sie, der Wächter solle alle sieben Tore zur Unterwelt verriegeln und jeweils eins einen Spalt breit öffnen, damit Inanna gerade so hindurchpasst. An jedem Tor soll Inanna eine ihrer Insignien abgenommen werden. Am Ende solle sie tief gebeugt in die Unterwelt eintreten.
Und so geschah es. An jedem der sieben Tore nahmen die Wächter Inanna eines ihrer Insignien der Macht ab. Jedes Mal fragte sie, was das solle. Und jedes Mal bekam sie die Antwort: „Still, Inanna. Die Wege der Unterwelt sind vollkommen. Du kannst sie nicht in Frage stellen.“
Und so kam Inanna nackt und tief gebeugt im Thronsaal ihrer Schwester Ereschkigal an.
Ereschkigal erhob sich von ihrem Thron, und Inanna taumelte ihr entgegen. Ereschkigal starrte mit dem Auge des Todes auf Inanna. Sie sprach das Wort des Zornes gegen sie und sie schrie den Schrei der Vernichtung gegen sie.
Inanna starb. Ihr Leichnam wurde an einen Haken gehängt.
Als Inanna nach drei Tagen und Nächten nicht auf die Erde zurückkehrte, stimmte die Ninschubur, den Klagegesang an, so wie Inanna es ihr aufgetragen hatte. Sie ging zu den Göttern und bat sie, Inanna nicht in der Unterwelt zu lassen. Ninschubur machte sich auf den Weg zu drei mächtigen Göttern: Enlil, Nana und Enki – in dieser Reihenfolge. So hatte Inanna ihr das aufgetragen.
Enlil und Nana halfen nicht. Sie meinten, Inanna sei selbst schuld. Die Gesetze der Unterwelt seien so, dass man daraus nie zurückkehrt. Aber Vater Enki half. Unter seinen Fingernägeln kratzte Vater Enki Dreck hervor. Er erschuf daraus zwei Wesen,die weder männlich noch weiblich sind – Kurgarra und Galatur. Da sie weder männlich noch weiblich sind, unterliegen sie nicht den Gesetzen des Totenreiches. Enki gab den beiden die Speise und den Trank des Lebens mit. Außerdem erteilte Enki Kurgarra und Galatur genaue Anweisungen, was sie tun müssen, um Inanna wieder ins Leben zurückzuholen.
Als Kurgarra und Galatur bei Ereschkigal ankamen, lag diese nackt auf dem Boden und stöhnte. Sie wand sich in Wehen. Kurgarra und Galatur stöhnten mit ihr, so wie Enki es ihnen gesagt hatte. Ereschkigal freute sich darüber und bot ihnen ein Geschenk an. Kurgarra und Galatur baten um Inannas Leichnam und bekamen ihn. Am Ausgang der Unterwelt aber trafen sie auf die Dämonen des Todes. Die Dämonen des Todes verlangten, dass anstelle von Inanna ein anderer Mensch in die Unterwelt muss. So sei das Gesetz der Unterwelt.
Als sie die Unterwelt verließ, wurde Inanna wieder lebendig. Die Dämonen folgten ihr aber – sie wollten einen Ersatz für Inanna. Inanna traf auf dem Weg ihre treue Dienerin Ninschubur und ihre beiden Söhne. Von diesen wollte sie niemand den Dämonen überlassen. Als Inanna aber zu ihrem eigenem Palast kam, saß dort ihr Gemahl Dumuzi, der Hirtengott, stolz auf Inannas Thron. Er trauerte nicht um Inanna. Inanna heftete auf Dumuzi das Auge des Todes.
Sie sprach gegen ihn das Wort des Zornes. Sie schleuderte ihm den Schrei der Anklage entgegen: “Nehmt ihn, nehmt Dumuzi hinweg! “
Dumuzi betete zu den Göttern und konnte sich in die Steppe retten. Dort traf er seine Schwester Geschtinanna und ließ sich von ihr trösten.
Die Dämonen suchten Dumuzi, sie suchten auch im Haus seiner Schwester Geschtinanna. Sie verwüsteten das Haus und fügten Geschtinanna Leid zu, doch Geschtinanna verriet ihren Bruder nicht.
Als die Dämonen aber das Haus von Dumuzis Freund aufsuchten und dort ebenso vorgingen, verriet dieser Dumuzi. Da nahmen die Dämonen Dumuzi mit in die Unterwelt. Im Angesicht des Todes musste auch Dumuzi alle Zeichen seiner Macht abgeben. Die Dämonen schütteten die Milch des Hirtengotts aus und nahmen die Schafe mit. Dumuzi musste sein Zepter abgeben. Auch er musste nackt in die Unterwelt einziehen.
Geschtinanna trauerte um ihren Bruder. Auch Inanna trauerte um ihren Gemahl, ebenso wie die Mutter von Dumuzi um ihren Sohn trauerte.
Geschtinanna ging durch die Straßen von Uruk und weinte. Sie wünschte sich, das Schicksal von Dumuzi zu teilen. Als Inanna den großen Schmerz von Geschtinanna sah, half sie ihr. Sie wanderten weit bis zur Steppe, wo Dumuzi tot lag.
Inanna und Geschtinanna weckten Dumuzi auf. Inanna sagte zu ihm:
„Du wirst ein halbes Jahr in die Unterwelt hinabsteigen. Deine Schwester wird, weil sie darum gebeten hat, Dein Schicksal teilen. Sie wird die andere Hälfte des Jahres in die Unterwelt hinabsteigen. Am Tag, wo Du gerufen wirst, steigst Du hinab und Geschtinanna hinauf. Am Tag, wo Geschtinanna gerufen wird, geht sie in die Unterwelt und Du kommst herauf.“
So übergab Inanna Dumuzi und Geschtinanna den ewigen Gesetzen von Tod und Wiederkehr.