Kostprobe zur Oster-Märchen-Begleitung "Froschkönig und Löweneckerchen": 


Meine Gedanken zum Märchen "König Lindwurm"



Als Beispiel für einen täglichen Text mit einer Märchen-Interpretation von mir findest Du hier Gedanken zum Märchen "König Lindwurm". Es ist ein relativ unbekanntes Märchen aus Dänemark. 


Den Text des Märchens kannst Du hier nachlesen und hier anhören.

Meine Gedanken zum "König Lindwurm" (Auszug)

Das Märchen vom König Lindwurm bringt uns u.a. das Thema Mütterlichkeit nahe. Dieses ist verbunden mit den Themen Erdung, Inkarnation, Geburt und Tod. Mütterlich handelt die alte Frau, die intuitiv erfasst, dass die Königin Zuwendung braucht. Mütterlich handelt auch die junge Schäferstochter, die eine Aufgabe für die Gemeinschaft und damit Verantwortung übernehmen muss. Sie kümmert sich letzten Endes liebevoll um die „Reste“ des Drachens und badet sie in "warmer süßer Milch".

Mütterlichkeit – gesehen werden und sich mitteilen dürfen, umsorgt und umhüllt werden

Eine Königin und ein König wünschen sich schon lange sehnlichst ein Kind. Als die Königin eines Tages „sinnend und kummervoll“ im Garten umhergeht, fragt eine alte Frau sie nach ihren Sorgen. Die Königin meint, die Alte könne ihr sowieso nicht helfen, doch schließlich vertraut sie sich der alten Frau an. Dies verschafft der Königin Erleichterung, Hoffnung keimt auf. Das Märchen weist uns an dieser Stelle darauf hin, dass es auch in absolut aussichtslosen Situationen hilfreich sein kann, sich jemandem anzuvertrauen. Schon allein das Mitteilen von Kummer bessert die Situation. Es reicht oft schon, wenn jemand wirklich zuhört, sich für kurze Zeit vollumfänglich zur Verfügung stellt, Präsenz zeigt - wie eine Mutter. Beim Darüber-Reden kommen einem selbst schon gute Einfälle. 

Und noch besser ist es – wie hier im Märchen – wenn jemand sich tatsächlich mit der Situation auskennt und einen hilfreichen Rat geben kann. Wie oft zögern wir aber, uns jemandem anvertrauen, weil wir denken, es kann uns sowieso nichts und niemand helfen. 

Nicht immer fordert das Gegenüber das Reden über den Kummer so nachdrücklich ein wie die alte Frau. Das Märchen gibt uns den Hinweis, dass es sich immer lohnt, sein Innerstes jemandem zu offenbaren, auch wenn man dazu erst einmal einen inneren Widerstand überwinden muss.

Die alte Frau handelt mütterlich, indem sie ein offenes Ohr hat, zuhört. Aber ihr Tun geht noch darüber hinaus: Sie sieht, dass es der Königin nicht gut geht, sie fragt nach und lässt nicht locker, damit sich die Königin das Herz endlich erleichtert, indem sie über ihren Kummer redet. Die alte Frau ist aufmerksam bei der Königin, fühlt sich in sie ein, spürt ihren Kummer. Und die weise Frau erscheint dann, wenn sie gebraucht wird. Sie scheint intuitiv wahrzunehmen, dass einer ihrer „Schützlinge“ ihrer bedarf.

Die Königin bringt einen Lindwurm, einen Drachen zur Welt. An dieser Stelle weist uns das Märchen darauf hin, dass Leben und Tod, Glück und Unglück, gut und schlecht oft ganz nah beieinander liegen und dass sich das eine in das andere verwandeln kann. Dennoch nährt und liebt die Königin ihr Kind, auch wenn es ein Lindwurm ist. Als der Lindwurm groß geworden ist und eine Frau fordert, macht sich die Königin am Ende selbst auf den Weg und sucht alle Frauen des Reiches auf, um sie um Hilfe zu bitten.


Ganz unmittelbar erfahren wir Mütterlichkeit auch gegen Ende des Märchens, als die Schäferstochter den Drachen in "warmer süßer Milch" badet und ihn in ihre Hemden wickelt. Darin kommt die Fürsorge, das Nähren, das Umhüllen, das Schützen, das Kümmern unmittelbar zum Ausdruck.


Der Gegenpol: "Schneewittchen"
Den Gegenpol zum Märchen vom „König Lindwurm“, was die Beschreibung von Mütterlichkeit angeht, bildet das Märchen vom „Schneewittchen“. Dort gibt es nur Neid, Missgunst und Ablehnung durch die eigene Mutter. Und das von Anfang an. Das kommt schon durch das Setting zum Ausdruck, denn am Anfang des Märchens ist Winter, es gibt Schnee und Kälte. Beim „König Lindwurm“ stelle ich mir dagegen warme Farben vor, rot und Erdtöne, die zum Umsorgt- und Umhüllt-Werden und zur Erdung passen.


Ja, in der Urfassung von 1812 war es die eigene Mutter, die das Schneewittchen abgelehnt und ihm sogar nach dem Tode getrachtet hat. Und zwar ab dem Zeitpunkt, in dem es anfing, mit sieben Jahren in der eigenen Schönheit zu erblühen, eine eigene Identität zu entwickeln. Der Kinderwunsch der Königin beim "Schneewittchen" entstand recht spontan, als sich die Königin in den Finger stach, als sie am Fenster saß und nähte. Als ein Blutstropfen in den Schnee fiel, fand sie, dass „das Rothe in dem Weißen so schön aussah“. Also dachte sie: „hätt ich doch ein Kind so weiß wie Schnee, so roth wie Blut und so schwarz wie dieser Rahmen“. Der Kinderwunsch entsprang nicht der Sehnsucht, das Leben weiter zu geben und dem Leben zu dienen, sondern den eigenen ästhetischen Ansprüchen, weil die Farbkombination Schwarz, Weiß und Rot so guten Eindruck auf die Königin machte und sie sich vielleicht mit einem Kind, das diese Farben verkörpert, selbst schmücken könnte.

Anders als im Märchen vom „König Lindwurm" erfahren wir nicht, dass König und Königin schon lange auf ein Kind gewartet hätten, es sich sehnlichst gewünscht und traurig darüber wären, dass sie keins bekämen. Schon von Anfang an scheint es, dass das Kind der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse der Königin dienen soll, denn es soll schön aussehen. Vom König erfahren wir im ganzen Märchen "Schneewittchen" nichts. Er scheint überhaupt nicht präsent zu sein, um das Schneewittchen mit seiner väterlichen Liebe zu begleiten und es vor den Übergriffigkeiten der bösen Mutter zu schützen.

Als das Mädchen mit sieben Jahren nicht mehr komplett von der Mutter abhängig ist, sondern anfängt, eigene Wege zu gehen, ist es für die Mutter nicht mehr interessant. Im Gegenteil, die Mutter ist neidisch, weil Schneewittchen nun schöner ist als sie selbst. So ist es nun aber der Lauf der Welt ist, dass die Zukunft in der Jugend liegt. Und von der Aussage des Spiegels, dass Schneewittchen schöner ist, an erträgt es die eigene Mutter nicht mehr, dass die Tochter lebt; sie soll sterben. Im Märchen erfahren wir viel über die Gefühlsäußerungen der Mutter. Sie wurde „blass vor Neid“ und „von Stund an hasste sie das Sneewittchen“. Es „kehrte sich ihr das Herz um“. Der Neid ließ ihr keine Ruhe. Immer, wenn der Spiegel sagt, dass Schneewittchen schöner sei, erfahren wir von heftigen negativen Gefühlen: „Sie erschrack, dass das Blut ihr all zum Herzen lief...“ Sie „zitterte und bebte vor Zorn.“ „So soll das Sneewittchen noch sterben, und wenn es mein Leben kostet.“ Als die Königin später von der jungen Königin Schneewittchen hörte, „erschrack sie, und es war ihr so Angst, so Angst, dass sie es nicht sagen konnte.“

Wir lesen dagegen von keiner einzigen mütterlichen Regung, wie Fürsorge, Behüten, Umsorgen, Wollen, dass es dem Kind gut geht, es unterstützen, seinen eigenen Weg zu finden etc.

Während wir im "König Lindwurm" dem roten Aspekt der Großen Göttin begegnen, das Nährende, Fruchtbare, Mütterliche, verkörpert die Königin im Schneewittchen den schwarzen Aspekt, das Zerstörerische, das Transformatorische, die Wandlungskraft. 

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Siehe auch meinen Blog "Gute Mütterlichkeit - Nährend, tröstend, schützend".